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Titel
Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive


Herausgeber
Wischermann, Clemens; Nieberding, Anne; Stücker, Britta
Reihe
Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte 23
Erschienen
Münster 2003: Ardey Verlag
Anzahl Seiten
278 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schug, Berlin

Der von Clemens Wischermann sowie Anne Nieberding und Britta Stücker vorgelegte Sammelband behandelt ein Thema, das derzeit hoch im Kurs steht: Kommunikation. Auch wenn dieses Thema immer wieder als "neu" bezeichnet wird, hat es als Gegenstand der Geschichtswissenschaft eine längere Tradition. So gab es schon früh Abhandlungen zur Propagandageschichte des "Dritten Reichs". Die "von oben" strategisch eingesetzte Kommunikation hatte erhebliche Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des NS-Staates und kann als elementares Herrschaftsinstrument angesehen werden. Kommunikation als gesellschaftliche Interaktion haben auch andere Historiker aufgegriffen, wenn sie sich in den letzten zehn Jahren z.B. mit Werbung oder allgemeiner mit dem Marketing von Unternehmen beschäftigt haben. Immer wieder wird deutlich, wie sehr Gesellschaft und ihre Institutionen, der Kontakt zwischen Politik und "Volk" oder – wie bei Wischermann - zwischen Unternehmen und Markt über die spezifischen Kommunikationsbeziehungen erschlossen werden kann.

Die Analyse von Kommunikationsstrukturen innerhalb von Institutionen bietet den Vorteil, tiefer in den Untersuchungsgegenstand einzudringen. Wischermann et al. verfolgen einen Ansatz in diesem Sinne und systematisieren die Diskussion. Ihren Untersuchungsgegenstand, Unternehmen, sehen sie dabei als "Sinndeutungsfeld", das durch Kommunikation erst konstituiert wird. Kommunikation wird also zum Ausgangspunkt sozialen Handelns. Ausdrücklich beziehen sich die Herausgeber hierbei auf die Theorieangebote der Neuen Institutionenökonomik, einem Ansatz, der die kulturtheoretischen Defizite in der Wirtschaftsgeschichte zu überwinden versucht und Unternehmensgeschichte nicht nur als Teil der Wirtschaftsgeschichte, sondern ebenso der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte darstellt. Kommunikation ist, so die These, in modernen Industriegesellschaften das zentrale Mittel der Unternehmenssteuerung. Ausgangspunkt ist der Begriff der Unternehmenskultur. Sie ist eine Existenzfrage für die Funktionsfähigkeit einer Organisation wie einem Unternehmen. Jedes Unternehmen hat eine Kultur – bewusst oder unbewusst. Diese reproduziert sich in komplexen Interaktionsgefügen, Akteurskoalitionen und Machtstrukturen. Das Handeln eines Unternehmens und auch dessen Erfolg oder Misserfolg wird erst über dessen Kommunikationsstrukturen untersuchbar. Mit diesem Zugang unterscheidet sich Wischermanns Ansatz von der Vielzahl von unternehmenshistorischen Darstellungen, die Unternehmen fast ausschließlich von Fragestellungen einer Produktions- oder Angebotsgeschichte untersuchen. Fragen der Konsum- und Kommunikationsgeschichte kamen bislang zu kurz.

Das Phänomen der Unternehmenskultur kann v.a. durch Kommunikationsphänomene operationalisiert werden. "Damit", so Wischermann, "gewinnt eine Handlungsebene im Unternehmen und deren Quellen eine neue Relevanz, die bisher oft belächelt und als außerökonomisches Beiwerk abgetan worden ist" (S. 34). Unternehmenskultur manifestiert sich also in der Unternehmenskommunikation, die wiederum in die externe und interne Kommunikation aufgeteilt wird. Unter externer Kommunikation versteht man die Art von Kommunikation, die nach außen gerichtet ist wie Werbung oder PR. Interne Kommunikation umfasst die Kommunikation innerhalb eines Unternehmens wie sie aus Mitarbeiterzeitschriften bspw. herauszulesen ist. Für jeden, der mit Kommunikationsdienstleistungen einmal zu tun hat, ist das alles nicht neu. Wischermann et al. gelingt es allerdings, dieses Thema für den historischen Diskurs fruchtbar zu machen und als interessantes Forschungsfeld zu beschreiben. In diesem Sinne ist der Sammelband ein Werkstattbericht, der weitere Studien nach sich ziehen muss.

In den ersten fünf Aufsätzen werden Konzepte und Kategorien der Unternehmenskommunikation diskutiert. Dazu gehören Fragen nach der Definition der grundlegenden Begriffe wie Unternehmenskultur, Unternehmenskommunikation und Unternehmensidentität. Ebenso werden die Ansätze der Neuen Institutionenökonomie dargestellt. Im zweiten Teil, der ebenfalls fünf Aufsätze umfasst, werden die theoretischen Konzepte in Fallstudien zur Textil-, Maschinen- und Pharmaindustrie in Deutschland operationalisiert. So wird bspw. die Mitarbeiterführung durch Mitarbeiterkommunikation in den Anker-Werken im 20. Jahrhundert behandelt oder die Kundenkommunikation in der Pharmaindustrie am Beispiel der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. untersucht.

Das Problem aller Aufsätze ist, wie auch bei anderen Kommunikationsgeschichten, dass immer nur die Kommunikation "von oben" untersucht wird/werden kann. Der Ansatz, das Unternehmen als Sinndeutungsfeld und Interaktionsgefüge zu sehen, in dem u.a. Machtstrukturen deutlich werden, bleibt dabei auf der Strecke, wobei dieses grundsätzliche Problem wohl kaum den Herausgebern zur Last gelegt werden kann. Zwar hat sich mittlerweile auch im historischen Diskurs eingebürgert, dass Kommunikation nicht eindimensional im Sinne lange populärer Sender-Empfänger-Modelle verstanden werden kann. Der Rezipient und seine Interpretationsleistungen einer Botschaft spielt eine ebenso wichtige Rolle und nur unter Berücksichtigung dieser Rolle können Kommunikationsprozesse vollständig beschrieben werden. Dennoch taucht der Rezipient nirgendwo auf. Er bleibt ein theoretisches Konstrukt, der in der Empirie nicht mehr existiert. Das ist vor allem ein Quellenproblem. In den Unternehmenarchiven ist es ein schwieriges Unterfangen, den Rezipienten/Kunden aufzuspüren. Das gilt insbesondere für die Zeit vor 1945. Danach, vor allem ab den 1960er-Jahren, hätte man jedoch die Möglichkeit, z. B. auf Imagestudien und Umfragen von Marktforschungsinstituten zurückzugreifen. Bei den behandelten Firmen wie Anker oder Bayer hätte man evtl. dieses Material auswerten können. Dieser eine Kritikpunkt veranlasst aber vielmehr zum Appell an die Unternehmensarchivare, den von Wischermann beschriebenen Ansatz, der interessanter und theoretisch gehaltvoller als die meisten anderen in der derzeitigen Unternehmensgeschichtsschreibung ist, aufzunehmen und dafür zu sorgen, dass Quellen erhalten bleiben, die die Kommunikationsbeziehungen eines Unternehmens zu seinen Innen- und Außenwelten dokumentieren.

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